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#Lobaubleibt — Argumente, Annahmen, Besetzung und Räumung

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#Lobaubleibt — Argumente, Annahmen, Besetzung und Räumung

Eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung ist gegen den Bau der Stadtstraße und des Lobautunnels. Die Wiener Stadtregierung beharrt auf dem Bau der Projekte und ihrer Notwendigkeit. Dabei wird die Protestbewegung von der Stadtregierung als naiv, kurzsichtig und realitätsfremd dargestellt. Es wird behauptet, man hätte eh das gleiche Interesse — eine lebenswerte Zukunft und eine nachhaltige Transformation der Stadt — es ginge aber nun mal nicht von heute auf morgen und der Bau dieser Straße sei gar nicht das eigentliche Problem. Vielmehr ginge es um ein „Gesamtbild“, das nachhaltig gestaltet werden soll. Es werden zahlreiche andere „nachhaltigere“ Bauprojekte aufgezählt (z.B. Radwege, U-Bahnen und S-Bahnen), die dann im „gesamt Bild“ mit der Stadtstraße nachhaltig seien. Der zentrale Kern der Argumente für den Bau der Stadtstraße ist dabei die Erweiterung der Seestadt, sprich der Bau von neuen Wohngegenden „von der Größe von St. Pölten“. Um eine ausreichende Versorgung und Anbindung dieser Viertel zu gewährleisten sei die Stadtstraße notwendig.

01.02.2022: Das Protest Camp “Wüste” wird geräumt. Hier haben Aktivst*innen 5 Monate lang das Fortschreitender Bauarbeiten an der Stadtstraße verhindert.

Argumente und Annahmen der Wiener Stadtregierung

Dieser Abschnitt bezieht sich hauptsächlich auf die Argumente Ulli Sima’s in diesem Video

Die Annahmen, die die Regierung bei dieser Argumentation trifft, werden jedoch nicht Teil des Arguments, sondern sie werden als gegebene, unumstößlich und selbstverständlich hingenommen. Die erste Annahme ist, dass die Erweiterung der Seestadt, so wie sie geplant ist, sinnvoll und nötig ist. Die zweite Annahme ist, dass die Erweiterung eine hohe Vernetzung mit den Wirtschaftskreisläufen der Stadt Wien und des Umlandes voraussetzt und, dass diese Vernetzung auch den Bau weiterer Schnellstraßen bedingt.

Zu diesen Annahmen ist zu sagen, dass ein Fortsetzen des bisherigen Wachstumsparadigmas des städtischen Raumes, genau das gleiche Prinzip reproduziert, das überhaupt erst für die Klimakrise verantwortlich ist: Naturraum zu domestizieren, umzuwandeln, ihn in eine hochindustrialisierte Wertschöpfungskette einzuspeisen und am Ende urbanen Kulturraum daraus zu machen. Urbaner Kulturraum bedeutet in dieser Sichtweise, einkaufen im Supermarkt, weite Wege zu den Orten des alltäglichen Lebens und eine „gestaltete“ sprich domestizierte Umwelt. Das ganze soll natürlich gut für die Wirtschaft sein — sprich zum Wachstum beitragen — muss also in größere Wirtschaftskreisläufe eingebunden sein. Das bedeutet Lieferverkehr hin und zurück, Wertschöpfung vor Ort für den Konsum anderswo und Konsum von Produkten, deren Wertschöpfung anderswo stattgefunden hat. Lineare Rohstoffkreisläufe durch billig herzustellende, Erdöl basierte Einmalprodukte — klassisch kapitalistische Wachstumslogik.

Was die Stadtregierung mit einer lebenswerten Zukunft meint

Wenn wir diese Annahme als gegeben annehmen, brauchen wir natürlich eine Stadtstraße. Dann bräuchten wir für jeden neuen Stadtteil eine neue Stadtstraße um den ganzen Autoverkehr von und zur Arbeit (die anderswo stattfindet) und den Lieferverkehr für die ganzen tollen Produkte, die sich die Menschen mit ihrem Geld, dass sie anderswo verdient haben, kaufen können, denn das ist es ja schließlich, was wir meinen mit einer lebenswerten Zukunft für alle oder? Oder?

Eine lebenswerte Zukunft, das ist doch eine in der wir alle Abends gemütlich vor dem Fernseher lümmeln können und uns beim 3. Feierabendbier im Einfamilienhaus nebenher auf dem neuen iPad (das 2. dieses Jahr) auf Amazon einen Hometrainer bestellen können, weil wir bei unserem Bürojob nicht genügend Bewegung bekommen haben und neuerdings so schlecht schlafen. Das ist doch die Zukunft in der wir uns immer fragen, warum es allen so gut geht, die wir auf Insta sehen und uns so schlecht, wir arbeiten doch schon so viel und haben auch so viel Geld aber irgendwie haben wir unseren besten Freund schon seit 2 Monaten nicht mehr gesehen und unser*e Partner*in macht uns auch nicht mehr so glücklich wie früher und manchmal, ganz kurz vor dem Schlafengehen erinnern wir uns daran, wie das war damals als wir noch jung waren, als wir noch nicht so viele Verpflichtungen hatten und wir uns vorgestellt haben, wie das mal wird wenn wir loslegen mit dem echten Leben. Dann checken wir lieber nochmal schnell Insta oder denken an die Arbeit morgen, weil diese Erinnerungen sind echt voll schmerzhaft, weil wir uns schon seit Jahren nicht mehr so gefühlt haben.

Ist das die lebenswerte Zukunft die wir anstreben sollten?

Ich glaube nicht.

Die kapitalistische Verwertungslogik, die uns von Geburt an eingetrichtert wird sagt uns, dass wir nur was Wert sind, wenn wir unseren Wert in Zahlen immer weiter steigern. Die Zahl auf dem Lohnzettel, die Zahl neben dem Likebutton, die Zahl der PS, die Zahl die unser Haus Wert ist. Doch: Zahlen machen nicht glücklich. Zahlen sind kein Selbstzweck. Sie sind ein Werkzeug. Ein sehr sehr nützliches Werkzeug, um unser Leben zu bewerkstelligen und wundervolle Dinge zu tun. Doch Zahlen sagen uns nicht, welche Dinge wir tun sollen. Wir können Zahlen auch nutzen um schreckliche Dinge zu tun. Wir brauchen also etwas anderes, das uns sagt, was wir tun sollen mit diesen Zahlen: wir brauchen Werte. Und wenn ich sage, wir brauchen Werte, dann ist das eigentlich nicht richtig, denn jeder Mensch hat schon Werte. Wir alle haben etwas, das uns wichtig ist, das unsere Herzen höher schlagen lässt, das etwas ganz tief in uns anspricht wenn wir es in anderen sehen und das aus uns heraus in die Welt sprechen will. Das Bedürfnis etwas zum Leben anderer beizutragen, andere glücklich zu sehen, Gemeinsamkeiten zu entdecken, uns an der unerwarteten Schönheit der Unterschiedlichkeiten zu erfreuen.

Wenn ich von einer lebenswerten Zukunft rede, dann meine ich eine, in der jeder Mensch die Unterstützung erfährt, die er braucht um sich seiner Werte bewusst zu werden und aus ihnen heraus ein erfülltes, authentisches Leben zu führen, kreativ zu sein, etwas beizutragen, und sich verdammt nochmal nicht verbiegen zu müssen. Abends ins Bett gehen zu können und sich nicht bis zur letzten Sekunde vor dem Einschlafen ablenken zu müssen, sondern mit sich selbst und der Welt in Ordnung zu sein. Beziehungen zu anderen Menschen zu pflegen, nur um der Beziehungen willen, nicht weil wir denken wir müssen, oder weil es uns weiter bringt im Leben uns mit einer bestimmten Art Mensch zu umgeben.

Wie fangen wir an die Zukunft zu schaffen, in der wir leben wollen?

Das geht, in dem wir die Welt in der wir leben, so gestalten, dass sie ein solches Leben ermöglicht. In dem wir die physischen Strukturen so erschaffen oder umnutzen, dass sie die Begegnungen ermöglichen, nach denen wir uns sehnen. Das sie uns zwingen uns mit uns selbst und unserem Verhalten und unseren Beziehungen auseinanderzusetzen. Gemeinschaft muss auch erst gelernt werden. Das geht nicht von heute auf morgen, doch wir können jetzt sofort damit anfangen, in dem wir uns fragen: „Wenn meine Seite „gewonnen“ hätte, wenn alles so wäre wie ich/wie wir es fordern, wie würde ich dann leben?“; und indem wir dann anfangen so zu leben. Jetzt. (Dieser Idee habe ich in den vergangenen Tagen irgendwo aufgeschnappt, ich kann mich leider nicht mehr erinnern von wem.)

Achja, die Sache mit der Umwelt

Das alles einmal ganz abgesehen von den Sachzwängen, die durch die Grenzen unserer Ökosysteme gegeben sind. Die Biosphäre — sprich, das Gesamtökosystem der ganzen Erde; alles was lebt — hat eine bestimmte Kapazität, resilient zu sein, Zerstörung wieder zu heilen, Schäden zu schlucken und abzufedern. Diese Kapazität ist sogar erstaunlich groß. Doch, dass die Biosphäre sich selbst reparieren kann und wieder ins Gleichgewicht finden kann, braucht sie Ruhe — so wie ein Mensch, der krank ist. Im Grunde ist es ganz einfach: wir müssen die Natur einfach nur ihr Ding machen lassen und sie wird von selbst zurück ins Gleichgewicht finden. In der Praxis ist das natürlich nicht ganz so einfach, denn wir Menschen wollen ja trotzdem noch hier leben und das bedeutet immer ein gewisses Maß an „Eingriff“ in die Natur. Allerdings kann und sollte die Perspektive des „die Welt sich selbst heilen Lassens“ ein fundamentales Prinzip darstellen, auf dem wir unsere kollektive Entscheidungsfindung basieren. Wenn wir das täten, kämen wir ziemlich schnell zu dem Schluss, dass jede neue Straße, jeder neue Betonbau, jede neue Pipeline oder Ölbohr-Plattform, eine zu viel ist. Wir kämen zu dem Schluss, dass wir jetzt sofort beginnen müssten Dinge anders zu tun. Wir würden sehen, dass die Selbstheilungskräfte unserer Ökosysteme schon ziemlich strapaziert sind und, dass wir ein gewaltiges Risiko eingehen, in dem wir sie noch weiter strapazieren. Denn jeder Nadelstich könnte der letzte sein, um einen endgültigen Kollaps herbeizuführen.

Die Räumung der Wüste

Am 01.02.2022 um 8:15 marschiert die Polizei mit einem Großaufgebot im Protestcamp ‘Wüste’ ein. In den vergangenen Tagen gab es immer wieder Gerüchte, dass eine Räumung kurz bevor steht und die Dauerbereitschaft der Aktivist*innen zehrte an den Nerven. An diesem Morgen überrascht die Polizei das nur minimal besetzte Camp. Die Wiener Linien (Öffis) machen sich zu Komplizen der Stadtregierung und der Polizei, in dem sie die U-Bahn Station Hausfeldtstraße direkt neben dem Camp für mehrere Stunden sperren, um die Anreise weiterer Aktivist*innen zu erschweren. Dennoch sind innerhalb kurzer Zeit bis zu 400 Menschen vor Ort, die versuchen die Räumung des inzwischen großräumig umstellten Geländes und die Rodung eines angrenzenden Waldstückes, die gleichzeitig gestartet wird zu verhindern. Am frühen Nachmittag wird die letzte Struktur — die “Pyramide” — eingerissen (s.u.). Die Rodung im Wald nebenan dauert auf Grund des mutigen Einsatzes von Aktivist*innen bis zum späten Nachmittag an. Diese besetzen immer wieder Bäume und Rodungsmaschinen. Schlussendlich werden über 50 Menschen verhaftet. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels am Tag darauf um 11:30 sind immernoch knapp 40 von ihnen in Polizeigewahrsam.

01.02.2022: Das Protest Camp “Wüste” wird geräumt. Hier haben Aktivst*innen 5 Monate lang das Fortschreitender Bauarbeiten an der Stadtstraße verhindert.

Ganz viele Menschen sehen das alles schon. Das sind die Menschen, die über die vergangenen 5 Monate die Baustelle bei der Hausfeldtstraße — genannt Wüste — besetzt hielten. Das sind die Menschen, die gestern mit Gewalt von dort entfernt wurden und deren Häuser und Hütten innerhalb weniger Stunden restlos entfernt wurden. Das sind auch die Menschen, die, als sie davon erfuhren, dass die Wüste geräumt wird, sich sofort auf den Weg gemacht haben um die Besetzer*innen zu unterstützen und den Abriss des Camps und die Rodung eines angrenzenden Waldes so gut es geht zu unterbinden oder zumindest zu verzögern. Das sind die Menschen, die dabei ihre eigene Unversehrtheit auf’s Spiel setzen, in dem sie sich Baggern in den Weg stellen, diese besteigen, sich der Gewalt der Polizei aussetzen, ganz bewusst und in voller Klarheit darüber, was das bedeutet. Wenn die Wiener Stadtregierung irgendein ernsthaftes Interesse daran hat, glaubwürdig zu sein wenn sie sagt „Wir stehen für eine lebenswerte Zukunft für alle“, dann sollte sie diesen Menschen zuhören. Ihnen wirklich zuhören und ihre Stimmen etwas zählen lassen. Denn wer mit dem eigenen Körper den Bau einer Straße oder die Rodung eines Waldes blockiert, tut das nicht aus Spaß, sondern weil es scheinbar keine andere Alternative gibt. Wenn die politische Führung dieser Stadt ihre Aufgabe, den Einwohner*innen so gut es geht zu dienen, ernst nimmt, sollte sie neugierig sein, warum Menschen dazu bereit sind soviel zu opfern, anstatt mit Gewalt auf friedlichen Protest zu antworten.

Danke an alles, Aktivist*innen, die monatelang auf der Besetzung ausgeharrt haben, die bei der Räumung teils kurzentschlossen aktiv geworden sind und die großteils immernoch in Polizei-Gewahrsam sind (stand 02.02.2022 11:30).

Weiterführende Infos

Hirschstetten Retten ist eine lokale Bürger*innen-Initiative, die gegen den Bau der Stadtstraße kämpft. Auf ihrer Website finden sich viele Informationen über die Pläne der Stadt Wien und darüber, warum diese unbedingt verhindert werden sollten. https://hirschstetten-retten.at

Auf der Website der Bewegung #Lobaubleibt findet sich ein Pressespiegel, der gesamten Berichterstattung über die Proteste und die Räumung. https://lobaubleibt.at/presse/

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